Aber ja, eine lange Beziehung ist etwas ungeheuer Wertvolles. Die gemeinsame Zeit hat ein kostbares vielschichtiges  Konglomerat gebildet, das die Vergangenheit hinterlassen hat, das die Gegenwart ständig erträglich hält und das für die Zukunft Sicherheit verspricht. In der langen Zeit zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist zwischen zwei Menschen unendliches Vertrauen entstanden, wohlbehütete Vertrautheit, verlässliche Unterstützung, mentale Übereinstimmung, absolute Loyalität, tiefgründige Zuneigung, immerwährende Toleranz… Alles weder käuflich noch erzwingbar.

Zwei Menschen haben sich im Laufe der Jahre zu einem gemeinsamen Partnerpuzzle zusammengerauft. Es gab Verletzungen, es gab Schmerzen, es gab Alpträume, es gab Realitäten… trotzdem haben sie alle Schwierigkeiten gemeinsam gemeistert. Sie haben zusammengehalten, auch wenn’s stürmisch wurde. Sie haben sich wieder vertragen, auch wenn’s schwerfiel. Sie haben sich nie aufgegeben, auch wenn’s jeder erwartet hat.

„Es gibt nichts Schöneres, als geliebt zu werden, geliebt um seiner selbst willen oder vielmehr trotz seiner selbst.“ Victor Hugo

Ja, in einer langen Beziehung wird man trotz seiner Macken und Fehler heiß und innig geliebt:

…da wirkt die unmöglich verdrückte Zahnbürste wie ein charmantes Requisit des schlampigen Partners – und nicht wie böse Provokation.

…da wirkt der unordentliche Wuschelkopf wie eine witzige Frisur aus alten Zeiten – und nicht wie böse Provokation.

…da wirkt das ständige zu spät Kommen wie alltägliche Routine – und nicht wie böse Provokation…

und was ist mit richtig gutem Sex? Wird das denn nicht irgendwann langweilig? Schläft die Leidenschaft für den Partner denn nicht zwangsläufig ein?

Aber nein, ganz im Gegenteil. Die Partner kennen sich in- und auswendig. Sie wollen sich gegenseitig Gutes tun und wissen Vorlieben und Abneigungen des anderen. Sie haben in der langen Zeit des Zusammenwachsens gelernt, wie sie beim Sex am besten miteinander umgehen, wie sie ungünstige Momente vermeiden, wie sie miteinander „in den Sternenhimmel“ kommen…

Hermann Hesse wusste schon: „Das Beste daran war aber nicht das Küssen und nicht das abendliche Zusammenpromenieren und Heimlichtun. Das Beste war die Kraft, die mir aus jener Liebe floß, die fröhliche Kraft, für sie zu leben, zu streiten, durch Feuer und Wasser zu gehen. Sich wegwerfen können für einen Augenblick, Jahre opfern können für das Lächeln einer Frau, das ist Glück.“  Eine Fußreise im Herbst

Aber wie? Nun, betrachten Sie Ihre Partnerschaft doch einfach als wichtigstes Projekt in Ihrem Leben. Sie haben Stress miteinander? Im Unternehmen würde man jetzt wahrscheinlich einen Berater engagieren. Und Sie privat? Sie sind Opfer Ihrer eigenen Routine geworden – Stichwort Langeweile? Im Unternehmen würde man sich jetzt zum Brainstorming treffen. Und Sie privat? Sie haben Lust auf etwas Neues? Im Unternehmen würde man jetzt über andere Aktivitäten und neue Kontakte nachdenken. Und Sie privat?

Privat setzen Sie sich vielleicht nach einem köstlichen Schmaus gemütlich in Ihren Lieblingssessel und lassen genüsslich Ihre Vergangenheit zu zweit Revue passieren. Vielleicht ja mit Ihrem Partner gemeinsam. Vielleicht auch lieber alleine. Und dann denken Sie einmal zurück an Ihre allererste Begegnung, an Ihr allererstes Rendezvous, an Ihren allerersten Kuss…  Geben Sie sich diesen wunderbaren zarten Gefühlen hin, die auf einmal ganz sachte hochkommen, und die Ihnen doch tatsächlich schon wieder dieses seltsame Herzklopfen machen… Und dann erzählen Sie es Ihrem Partner. Wie schön es damals war, wie traumhaft, wie verrückt, wie herrlich… Und schauen ihm dabei ganz tief in die Augen…

Gabriele Lönne