Sturm im Wasserglas – Generation Y

The Huffington Post       15. September 2014       Gabriele Lönne

GENY

 

In diesen Tagen kann man so einiges über die Generation Y lesen. So nennt man die Generation der 80er und 90er Geburtsjahrgänge. Sie ist zurzeit in aller Munde. Sie soll so anders sein als die Generationen vor ihnen, so schwierig zu führen und so unverständlich im Verhalten.

Nun, zunächst einmal ist es ja nicht ungewöhnlich, wenn eine Generation sich von der vorherigen oder der nachfolgenden unterscheidet. Die 68er unterschieden sich erheblich von den Matures, der Kriegsgeneration. Das erstaunt niemanden. Schließlich sind wir das Produkt unserer Erziehung, der Lebensumstände und der Herausforderungen, denen wir beruflich und privat begegnen.

Bedenkt man die Kriegszeiten 1933 – 1945 war das irgendwie geartete Überleben, ob auf dem Schlachtfeld draußen oder im Überlebenskampf zu Hause, zu dieser Zeit das einzige Ziel. Für heutige Generationen sind derartige Umstände nicht mehr nachvollziehbar. Schaut man sich die unterschiedlichen Generationen und ihre jeweiligen Weltbilder genauer an, bekommt man Vorstellungen, was die Durchmischung der Generationen in Unternehmen auslösen kann.

Zunächst die Matures, Geburtsjahrgänge 33 – 45. Sie haben es geschafft mit sprichwörtlich letzter Kraft die Dynamik und das Wunder des ungeheuerlichen Aufschwungs nach dem Krieg auszulösen. Sie haben gerackert „koste es, was es wolle…“ und damit oft ihre Gesundheit und auch ihre Familien ruiniert. Als Kinder waren sie streng wilhelminisch erzogen worden und lebten nach der Art der Buddenbrocks.

Die Generation nach ihnen, die Boomers, Geburtsjahrgänge 46 – 64, erlebten die Entwicklung vom Schmalhans zum Überfluss. Arbeiten war alles und sich dafür etwas leisten zu können der Rest. Sie lernten „ohne Fleiß kein Preis“ und haben oft bis zum sprichwörtlichen Umfallen gearbeitet.

Allerdings – hier gab es in den 60er und 70er Jahren die ersten Gegenbewegungen gegen Bürgerlichkeit, Ordnung und Recht, die dann in der nachfolgenden Generation X zu erheblicher Unruhe führten.

Die Generation X, 65 – 76, liegt irgendwo dazwischen. Auf der einen Seite streng nach bürgerlichen Vorstellungen erzogen, auf der anderen Seite nach persönlicher Freiheit und Selbstständigkeit strebend, hat sie das Erbe ihrer Eltern verwaltet und versucht zu erhalten. Allerdings war diese Zeit auch geprägt von den Phänomenen Kriegsdienstverweigerung, antiautoritärer Erziehungsversuche und der wachsenden Frauenemanzipation.

Und die Generation Y, Geburtsjahrgänge 77 – 98? In ihr findet man weltoffene, junge Menschen, die selbstbewusst ihren Weg gehen. Sie verlebten ganz andere Kindheiten als die Generationen vor ihnen – in Sicherheit und Frieden. Das Wort „Krieg“ kennen sie nur aus dem Zusammenhang mit Sternen und Internet. Das beängstigende Gefühl aus den Zeiten des Kalten Krieges, das sich spätestens beim Grenzübertritt an der Berliner Mauer einstellte, lässt sich für sie heute nicht mehr nachvollziehen.

Die jungen Y leben heute in veränderten Welten. Sie genießen Freiheiten, die sich frühere Generationen nicht vorstellen mochten. Sie sind topp ausgebildet und überwinden jegliche Grenzen.

Matures, Boomers, Generation X und Y – heute müssen diese Generationen in Unternehmen zusammenarbeiten. Die jungen Neuen haben sich alten Strukturen zu unterwerfen, die alten Führenden wollen sie in ihr Korsett pressen. Die jungen Neuen haben sich dem autoritären Führungsstil zu beugen, die alten Führenden halten an althergebrachten Maßstäben fest. Die jungen Neuen machen, was sie wollen, die alten Führenden wissen nicht, was sie mit ihnen machen sollen. Was ist zu tun?

Zum Beispiel für den Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens aus der Metallverarbeitung, der an seiner Entwicklungsabteilung verzweifelt. Er hat junge Ingenieure mit guten Abschlüssen eingestellt und muss jetzt zu seinem Leidwesen erkennen, dass sie vollkommen überfordert wirken.

Sowohl was ihre Leistungsfähigkeit als auch was ihren Kenntnisstand angeht. Nach einem Jahr im Job fühlen sich die jungen Leute „Burnout“-gefährdet und melden sich immer öfter krank. Die Lösung lag in diesem Fall in der Veränderung der Teams. Heute arbeiten erfahrene Mitarbeiter mit den jungen Ingenieuren zusammen, bilden sie in der Praxis weiter aus und unterstützen sie direkt an ihrem Arbeitsplatz. Basis der Zusammenarbeit ist das neu entwickelte gegenseitige Verständnis für die unterschiedlichen Lebensläufe und -entwürfe.

Begleitet wird der Arbeitsalltag jetzt von einem gemeinsam geführten Logbuch, das die Chronologie jedes Projekts zum Inhalt hat und mit dem erfolgreichen Abschluss endet.

Oder zum Beispiel für den Partner einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, dem ein junger Mitarbeiter im Sinne des Wortes aus den Händen gleitet. Es handelt sich um einen introvertierten Typen, der kein Wort zu viel sagt, Menschenansammlungen meidet, auch im Büro, in den Pausen unsichtbar wird und in Meetings stinkig wirkt. Der junge Mann ist in seinem Fachgebiet absolut topp, fühlt sich jedoch offensichtlich täglich unwohler in seinem Büro.

Er stört mit seinem Verhalten natürlich auch den Betriebsfrieden, denn die anderen wissen absolut nicht, wie sie auf ihn reagieren sollen, wie sie ihn am besten anfassen können. Die Lösung war hier die örtliche Trennung des Mitarbeiters vom Unternehmen. Der junge Wirtschaftsprüfer arbeitet jetzt von zu Hause aus. Sein Arbeitgeber hat sich an der Einrichtung des Büros finanziell beteiligt und für ihn alle notwendigen Kommunikationswege geebnet.

Mittlerweile hat sich die Zusammenarbeit mit dem Chef und den Kollegen erheblich verbessert. Der junge Mann ist geradezu aufgeblüht. Der Betriebsfrieden ist gerettet und der Mitarbeiter für die Wirtschaftsprüfung erhalten geblieben.

Oder zum Beispiel für den Abteilungsleiter einer großen Versicherungsgesellschaft, der sich ständig von einer jungen Mitarbeiterin (Trainee) genervt fühlt. Am Arbeitsplatz, im Meeting, ja selbst beim Mittagessen fragt ihn die neue Mitarbeiterin aus. Was? Warum? Warum denn nicht anders? Wozu? Wieso denn? Alles um die beiden herum schmunzelt erst und flüchtet dann. Der Abteilungsleiter weicht ihr mittlerweile, soweit er das kann, aus.

Die junge Frau reagiert mit Aggression und Wut. Das Arbeitsverhältnis steht auf der Kippe. Die Lösung war hier die Einführung von regelmäßigen „ Intelligence Trainee Meetings“, an denen die Abteilungsleiter mehrerer Abteilungen und die Trainees teilnehmen, und die besonderen Regeln unterliegen. Es wird auf eine ständig wechselnde Sitzordnung geachtet und wertschätzendes Verhalten vorausgesetzt.

Die Trainees können ihre gesammelten Fragen und Anregungen im kleinen Kreis an die jeweiligen Abteilungsleiter stellen und erhalten in einem geschützten Umfeld konkrete Antworten. Fragen, die nicht spontan beantwortet werden können, und Anregungen, die nach Auffassung aller Anwesenden diskussionswürdig sind, werden in der Folge von einer ausgewählten Führungskraft in Zusammenarbeit mit einem der Trainees weiter verfolgt.

Seitdem hackt die junge Mitarbeiterin öfter in ihr Smartphone und verkneift sich die meisten ihrer Fragen bis zum nächsten Meeting. Und der Abteilungsleiter fragt jetzt tatsächlich immer öfter: „Was meinen Sie denn dazu?“

Freuen wir uns über die Unterschiede bei den Generationen. Wie gut, dass es sie gibt, denn sie sind das wachrüttelnde Element in jedem Unternehmen. Y bringen den frischen Wind ins Unternehmen, lösen verfestigte Strukturen, kippen Hierarchien. X haben es am Laufen gehalten, taten den mutigen Schritt ins Ausland, hielten es in Krisenzeiten am Leben, sind heute aber desillusioniert.

Und die Boomers? Die Boomers haben das unglaubliche Wirtschaftswunder geschaffen, mit Erfindungsgabe und Kraft die Grundlage für unseres heutigen Wohlstand gelegt und können jedoch einfach nicht loslassen.

Nachtrag: Natürlich gibt es auch eine Kehrseite der Medaille Y. Das sind die jungen Y, die studieren müssen, weil sie ja ihr Abitur machen mussten. Oft haben sie sich sowieso schon durch die Schule gequält und wären besser in einem Ausbildungsberuf gelandet als in einer überfüllten Uni zu hocken.

Sie legen als Akademiker oft einen beruflichen Fehlstart hin, weil sie schlicht und einfach überfordert sind. Und es gehört viel Mut und Durchsetzungsvermögen dazu, wenigstens dann die Konsequenzen zu ziehen und einen anderen, befriedigenderen Weg einzuschlagen. „Wenn mehrere Wahrheiten einleuchtend sind und sich unbedingt widersprechen, bleibt dir nichts anderes übrig, als deine Sprache zu wechseln“. Antoine de Saint-Exupery

Allerdings hat sich diese Erkenntnis noch nicht wirklich durchgesetzt. Und das Problem wird in den nachfolgenden Generationen immer drängender. Jeder macht heute sein Abitur und will studieren! Es gibt kaum noch qualifizierte Auszubildende für das Handwerk. Lehrstellen bleiben unbesetzt. Die Universitäten sind überlaufen.

Es mangelt an allem – Lehrpersonal, Räumen, Laborplätzen… Die Masse erdrückt den Lernbetrieb an den Universitäten. Die Qualität der akademischen Ausbildung befindet sich im Sinkflug. Reicht den deutschen Unternehmen denn wirklich eine eher mittelmäßige akademische Ausbildung bei ihren Führungskräften? Und was macht das Handwerk? Es wird ihm der goldene Boden entzogen.

Dringend benötigte gut ausgebildete Facharbeiter gehen verloren. Kandidaten für die Meisterausbildung werden rar. Können und wollen Immigranten sie wirklich dauerhaft ersetzen?

Sturm im Wasserglas – Generation Y